Alexander A. Gronau

Masken der Macht

 


Auszug aus dem Kapitel "Das Geheimnis der Masken":

Mehr als zwei Dutzend Kutschen waren in einer trotz Wolkenfetzen reichbesternten Nacht zu Allerseelen unterwegs nach einem Schloß, das inmitten unberührter Waldbestände an einem perlend gischtwerfenden Flußlauf lag. Die Landschaft war lediglich von einigen kultivierten Feldern, Äckern und Dörfern durchsetzt. Jedes der Gespanne befuhr einen anderen einfachen Schotterweg. Ihre Geschwindigkeiten waren horrend. Die Droschken eilten durch die Nachtluft, kühlen Widerstand erzeugend. Es war ein Szenario, das einem Betrachter leicht erscheinen konnte, als stemme sich der Wind den Fuhrwerken entgegen.

Unablässig spornten die Kutscher ihre Rösser mit Peitschenschlägen und Rufen an, was die Nachtluft scharf durchschnitt, während sich die eisenbeschlagenen Räder im lauten Knirschen um die eigenen Achsen drehten wie im närrischen Veitstanz. Die Rufe aus heißer werdenden Kutscherkehlen waren am Wegesrand nur Stimmfetzen.

Die violetten Vorhänge der Droschken waren zugezogen, was verhinderte, daß das Mondlicht, welches dem Wald einen silbern-träumerischen Schimmer verlieh, in das Innere gelangte. Dort befanden sich die in prachtvolle Gewänder gekleideten Fahrgäste. Sie saßen sich schweigend gegenüber ohne daß Blicke einander kreuzten. Alle Augen muteten ausdruckslos an. Ebenso waren die Gesichter, die - annähernd faltenlos - von keinem eigenen Leben kündeten. Jegliches Empfinden, ob Freude oder der Zustand des Leids, schien ihnen zur Gänze fremd. Sie waren von Gleichgültigkeit erfüllt.

In der Nacht prangte die annähernd voll ausgebildete Scheibe des Mondes und die als freie Muster im All treibenden Sterne immer wieder durch zerrissene Wolkenkörper auf die urwüchsige Landschaft, die eine Vielzahl Getier barg. Am auengesäumten, grünlichen Flußufer stillten Rehe ihren Durst und im hochgewachsenen Wiesengrund ihren Hunger.

Die Hufe der Rosse wie die Räder der zueinanderstrebenden Kutschen schliffen sich in die Feldwege mit der Kraft ihrer Bewegung. Staub wirbelte auf; er wurde vom Wind aufgenommen, gelangte an andere, fernere Orte.

Eine Buche, die vor Jahrzehnten als Samen aus dem Munde eines Nagetiers gefallen war, und im Erdreich ihre Wurzeln ausgebildet hatte, spürte mehrere Staubteilchen auf ihr absterbendes Laub rieseln. Der Wind trug die Schwingungen von knallenden Peitschen, eilenden Pferden und knarrendem Räderwerk wie ein ungestümes Lied zu der mit knorrigem Stamm schief gewachsenen Buche, die es im Geäst gewahrte. Ihr Wurzelwerk umschloß im Erdreich einen vor tausenden Jahren von geschmolzenen Eisplatten glattgeschliffenen Fels. Eine Kutsche raste lärmend vorüber. Vögel, die im dichten Geäst nisteten, flogen im kreischenden Geschrei auf; es klang als teilten sich Laute. Die geflügelten Tiere kehrten erst in ihre Nester zurück, als das Getöse in die Ferne gerückt war.

Der erste Kutscher fuhr aus dem Dickicht, in dessen Blätterwerk das Mondlicht silberne Schatten warf, die anmuteten wie Silhouetten mythischer, gehörnter Wesen, oder gar wie Waldgötter. Er erblickte mit nüchternen Augen das Schloß mit witterungsbehauchtem Mauerwerk hinter einer Steinbrücke aus zusammengefügten Quaderklötzen, die über einen gischtwerfenden Flußlauf führte; die Forellen glitzerten in seinem Gewässer perlengleich. Er zog an den Zügeln. Die Pferde begannen gemächlich auf den Wiesenstreifen zuzutraben, wo sie nach einigen verlangsamten Schritten im feuchten Gras stehen blieben. Mehrere Rehe wichen scheu ins Unterholz. Ein paar Sträucher raschelten, als spielte eine Böe mit dem Gezweig. Oder war es eines der im Schatten verborgenen Wesen?

Vom Kutschbock steigend, nahm der Fahrer seinen Hut, der, auf eine Kapuze gestülpt, weit ins Gesicht gezogen war, einen Schal, der den Mund vor der kalten Zugluft schützte und einen abgetragenen, langen Mantel ab. Kurz aufeinander wurden feinsträhnige Haare, eine faltenlose Stirn, die so maskenhaft glatt und blaß beschaffen war wie weißer Marmor, Gesichtszüge ohne jeden Ausdruck, matt aus weiten Höhlen blickende, kleinpupillene Augen, schmale Lippen und ein starrer Hals offengelegt. Er sprang vom Kutschbock und kam leicht ungelenk auf dem Boden auf. Er begab sich zur linken Droschkentür, öffnete sie, und half ohne jegliche Gemütsregung zwei Insassen beim Aussteigen, die ihren Kostümen und ihren zierlicheren Figuren nach weiblichen Geschlechts waren. Nach ihnen verließen die im Wagen verbliebenen Fahrgäste das Gefährt. Gemeinsam gingen sie der Steinbrücke zu. Der Kutscher aber, dessen Kopf mit einer schlichten Kapuze bedeckt war, würde erst später Einlaß erbeten.

Weitere drei farblose Kutten tragende Kutscher kamen auf ihren Droschken an unterschiedlichen Stellen aus dem üppig gewachsenen Wald gefahren und machten durch die von ihren Dächern zur Seite gebogenen Zweige mehrere überwucherte Sand- und Schotterwege erkennbar. Sie lenkten ihre Gespanne gemächlich durch das hochstehende Gras - einige der Räder zerquetschten Schnecken mit ihrem schützenden und doch zerbrechlichen Gehäuse - und hielten neben der verlassenen Kutsche.

Der Graf begab sich zum großflächigsten Fenster des Schloßes. In der von einem milchig scheinenden Mond blaß durchschienenen Dunkelheit, die alle landschaftlichen Beschaffenheiten umhüllte, machte er zwölf bereits verlassen dastehende Kutschen als dunkelbläuliche Silhouetten am gegenüberliegenden Flußufer aus. Weshalb hatte er die Droschken nicht wahrgenommen? Dieser Umstand beängstigte ihn. Erstaunt sah er, daß sich ein weiteres Gefährt dem Schloß näherte. Auch dieses blieb geräuschlos, unwahrnehmbar, als verschlinge die Nacht die Laute wie in einem dicken Mantel.

Neben einer der Droschken standen die kuttentragenden Kutscher unter sich. Er konnte vier schattenhafte Gestalten aussteigen sehen. Als diese die Steinbrücke zum Schloß erreichten, hoben sich ihre prunkvollen Kostüme erkennbar hervor. Das dunstig blaßsilberne Mondlicht trieb mit den gefärbten Stoffen staunendmachende Spiele des Lichts.

Erschrocken fuhr der Graf zusammen, als er ihr Anklopfen am eichenhölzernen Schloßtor vernahm. Kurz darauf erfolgte das Quietschen der Angeln. Es riß ihn aus dem bloßen, starrenden Beschauen.


Hörprobe: "Masken der Macht" von Alexander A. Gronau - Phantastische Novelle
Zum freien Herunterladen: Inszenierte Lesung von Alexander A. Gronau (06:41 / 1,5 MB, Mp3)

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Illustrationen aus der Hand Daniel Castagnaros. Auf dem Bild "Ballnacht" ist die Maskengesellschaft zu sehen, die in das Schloß des zurückgezogen lebenden Grafen eingedrungen ist. Nebenstehende Zeichnung ist dem Kapitel "Der Beutezug" entnommen.



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"Masken der Macht"
Phantastische Novelle von Alexander A. Gronau, mit 12 ganzseitigen Illustrationen von

Daniel Castagnaro, einer Posterbeilage des Titelbildes, 25 Buchstabenornamenten
des 16. Jahrhunderts, ca. 180 Seiten; 22,95 Eur.
Buch im Großformat, mit rotgoldenem Kopfschnitt manufakturgefertigt

und vom Autor signiert. Alle Rechte vorbehalten.


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